IMPULS: DR. SILKE OBENAUER

Strategie, die Schwung gibt. Ehrenamtsförderung als Prozess und Auftrag geistlicher Leitung

Lachende Frau mit Brille

Die Badische Kirche hat im Oktober 2016 ein Ehrenamtsgesetz verabschiedet. Grundfragen der Ehrenamtsförderung wurden vorher beraten. Die Umsetzung des Gesetzes ist jetzt im Schwung. Im Zuge dessen will ein „Reiseführer“ die Welt der Ehrenamtsförderung beschreiben. Dr. Silke Obenauer, Pfarrerin für Gabenorientiertes Arbeiten, Gastfreundliche Gemeinde und Neue Formen von Kirche ist es gelungen, ein Standardschaubild zum Freiwilligenmanagement in gemeindliche Kontexte zu übersetzen und mit den laufenden gemeindlichen Prozessen zu synchronisieren. Sie beschreibt Ehrenamtsförderung als Bestandteil kirchlicher Entwicklung.

Wie ist es zu dem Schaubild gekommen?
Ausgehend vom weltlichen Kontext haben Carola und Oliver Reifenhäuser und Thomas Kegel ein Schaubild in ihrem Standardwerk „Praxishandbuch Freiwilligenmanagement“ gestaltet, das die strategischen und operativen Schritte beschreibt. Daran haben wir uns orientiert und es in kirchliche, vor allem gemeindliche Kontexte übersetzt. Die Begriffe, die im Praxishandbuch benutzt werden, treffen in Kirche manchmal auf Blockaden. Diese wollten wir ausräumen und damit aufzeigen, dass bewusste Ehrenamtsförderung immer mit den inhaltlichen Prozessen von Gemeindeentwicklung verbunden und auf diese bezogen ist.

Ehrenamtsförderung in der Kirchengemeinde kann in zwei Kreisen beschrieben werden: einem äußeren, der den strategischen Rahmen absteckt, und einem inneren, der die konkreten operationalen Vollzüge beschreibt. Dabei werden die klassischerweise als Ehrenamtsmanagement im äußeren Kreis und Ehrenamtskoordination im inneren Kreis bezeichneten Felder auf kirchengemeindliches Handeln übertragen.

Was ist Ihnen daran besonders wichtig?
Ehrenamtsförderung ist immer ein Prozess. Es reicht nicht, jetzt Menschen für die eine oder andere Tätigkeit zu gewinnen. Die Bindung, die Menschen durch Engagement stärken, muss auch von der Organisationsseite, also der geistlichen Gemeindeleitung, verantwortlich begleitet werden. Wir gehen immer davon aus: Ehrenamtsförderung braucht eine Grundsatzentscheidung im Leitungsgremium. Für die Ebene der Kirchengemeinde heißt das, der Kirchengemeinderat entscheidet sich für ein strategisches Vorgehen. Was dann folgt, beschreibt das Schaubild. Denn es stellt strategische Schritte ebenso dar wie konkrete, koordinierende Umsetzungselemente.

Was braucht es für die Grundsatzentscheidung?
In diesem Zuge ist es hilfreich, sich Rechenschaft darüber abzulegen: Welches Interesse leitet uns bei der Ehrenamtsförderung? Ist es die Abdeckung vorhandener Aufgaben oder die Idee, Menschen einen sinnhaften und für sie passenden Engagementbereich zu bieten oder wollen wir eine Ehrenamts-Kultur entwickeln? Was motiviert uns dazu, uns mit dem Thema zu befassen? Das Beispiel der Badischen Kirchengemeinde Bühl gibt einen lebendigen Eindruck davon.

Einen interessanten Einstieg bietet auch das Spiel „Mein Kontinent“. In Anlehnung an die Siedler von Catan ermöglicht es, gemeinsam eine Karte zu legen, die Motivationen, Perspektiven und Standpunkte innerhalb des Leitungsgremiums verdeutlicht.

Worin sehen Sie die Chance von bewusster Ehrenamtsförderung?
In Kirchengemeinden/-bezirken setzen sich in vielen Bereichen ehrenamtlich und freiwillig Engagierte ein. Sich strategisch aufzustellen bedeutet, förderliche und transparente Rahmenbedingungen zu schaffen, die Ehrenamtlichen die Möglichkeit geben, ihre Zeit und Kraft so einzubringen, dass sie spüren: Ich bewirke etwas. Dadurch wird Gemeinde insgesamt lebendiger und bunter.
Die Rolle der Kirchengemeinderäte, die ja selbst überwiegend ehrenamtlich tätig sind, ist dabei besonders fordernd. Denn die Entscheidung für Ehrenamtsförderung ist ihre Leitungsentscheidung und doch sind sie von guten Rahmenbedingungen im Engagement und mehr Transparenz natürlich auch „betroffen“. Daher ist wichtig, dass sie sich bewusst auch erlauben zu fragen: Wie gehen wir gut mit uns selbst um.

Was folgt nach der reflektierten Grundsatzentscheidung?
Es ist hilfreich, Ehrenamts-Standards zu erarbeiten und zu beschreiben, Ansprechpersonen transparent zu kommunizieren und eine Form zu finden, Qualität von Ehrenamtsarbeit in ein möglicherweise bestehendes Qualitätsmanagement zu integrieren. Und vor allem Räume für die geistliche Dimensionen zu schaffen.

Die geistliche Dimension – das ist ja der Unterschied zum Schaubild aus  Reifenhäusers Praxishandbuch – was bedeutet diese Dimension?
Die geistliche Dimension kommt besonders an drei Punkten zum Tragen: Erstens, wenn es darum geht, sich über Identität und Auftrag der eigenen Gemeinde zu verständigen. Wer sind wir als evangelische Kirchengemeinde am Ort? Wozu sind wir da bzw. was würde ohne uns fehlen? Sowie über aktuelle Herausforderungen – und dabei gut den Ort in den Blick nehmen, ihn aber auch geistlich lesen. Dieser Prozess ist entscheidend für die Frage, was denn vor Ort konkret getan wird, im Schaubild durch den Pfeil in den inneren Kreis hinein dargestellt.

Zweitens wenn es darum geht, dass Begabungen und Engagementbereich zusammenfinden. Bewusste Ehrenamtsförderung hat im Blick, dass Zugänge zum Ehrenamt vielgestaltig eröffnet werden können. Grob können zwei Wege unterschieden werden: einerseits über zuvor definierte Aufgaben, die aus dem Auftrag abgeleitet werden und für die dann geeignete Ehrenamtliche angesprochen werden; andererseits über Begabungen und Kompetenzen, die Menschen mitbringen, für die dann gemeinsam Betätigungsfelder benannt oder eröffnet werden. In der Praxis können sich auch beide Zugänge verbinden. In beiden Fällen kommen Begabungen und Kompetenzen für den Ort des Engagements zum Tragen, im Vertrauen darauf, dass darin Gott wirkt und Gemeinde baut. 

Drittens spielt die geistliche Dimension eine Rolle, wenn es darum geht, bewusst Räume der geistlichen Vergewisserung und Orientierung zu haben. Ehrenamt im kirchlichen Bereich unterscheidet sich von Ehrenamt im säkularen Bereich meines Erachtens dadurch, dass es prinzipiell für die geistliche Dimension offen ist. Wer sich bei der Organisation Kirche engagiert, soll die Möglichkeit haben, sein Engagement in Bezug zu seinem Glauben setzen zu können und mit anderen zu teilen. Werden strategisch Räume der geistlichen Vergewisserung und Orientierung vorgesehen, dann hilft dies Menschen in der Beziehung zu Gott, zu den Mitmenschen und zu sich selbst, wachsen zu können.

Im Ihrem Schaubild gehen Sie bewusst auch auf die Außenwelt ein und sprechen in diesem Zusammenhang von Engagementförderung von Kirchwerdungsprozessen – was bedeutet das?
Wenn Kirche in einem inneren und theologischen Sinn dort entsteht, wo und wenn der Heilige Geist durch Menschen wirkt und sie zusammenfügt, dann kann das sowohl innerhalb der Strukturen der Gemeinde geschehen, als auch außerhalb dieser Strukturen. Sind letztere Entwicklungen im Blick, geht es um Prozesse der Kirchwerdung.

Dann kann zum Beispiel Kirche in der Kindertagesstätte entstehen mit Erzieher*innen, engagierten Eltern, Kindern oder im Rahmen eines kirchlichen Jugendangebots in der Ganztagesschule oder mit den Ehrenamtlichen, Bewohner*innen und ggf. Angehörigen im Altenpflegeheim usw. Lohnend ist es, hier im Entdecker-Modus unterwegs zu sein: Wo erahnen wir Gottes Wirken und wo geschieht „Kirche“? Wo engagieren sich Menschen aus ihrem Glauben heraus? Und wie kann das Leitungsgremium dies unterstützen, ohne in klassisch-parochiale Rückführungstendenzen zu verfallen und nur die Vergemeinschaftungen und Engagementfelder im Blick zu haben, die sich direkt in kirchlichen Räumen vollziehen; wie kann das Leitungsgremium den Blick weiten und entdecken, wo überall Christenmenschen sich für und mit anderen einsetzen und es evtl. zu Vergemeinschaftungen neuer Form kommt? In diesem Zug gilt auch, auftauchende ekklesiologische Fragen zu bearbeiten, zum Beispiel Kirche als Netzwerk zu denken statt in konzentrischen Kreisen mit der Mitte des Gottesdienstes oder der Gruppen/Kreise.

Das Wahrnehmen und Fördern dieser Kirchwerdungsprozesse geht über Ehrenamtsförderung hinaus und kann sich auf das nicht-innergemeindliche Umfeld beziehen; vermutlich werden sich die dort Engagierten auch nicht als „ehrenamtliche Mitarbeitende der Kirchengemeinde“ bezeichnen. Dennoch soll hier auf diese Prozesse hingewiesen werden, weil eben auch dort, auf dem Territorium der Ortsgemeinde, „Kirche“ geschehen kann.

Pfarrerin Dr. Silke Obenauer
Neue Formen von Kirche - Gastfreundliche Gemeinde - Gabenorientierung
Evangelischer Oberkirchenrat, AMD - Missionarische Dienste
silke.obenauer@ekiba.de

Das Schaubild mit beschreibendem Begleittext erscheint in diesem Jahr als Teil eines Praxisheftes der Badischen Kirche. Ein Interview zum Thema Ehrenamtskultur.

Praxisheft „Tun tut gut." der Nordkirche gibt Hinweise zur Umsetzung strategischer Ehrenamtsförderung“.

Das kostenfreie Spiel zum Einstieg können Sie unter info@ehrenamt.nordkirche.de beziehen.